Sonntag, 1. März 2009

Objekt des Monats März

Der nur 21 Zentimeter hohe Krug aus grau-blauem Westerwälder Steinzeug gibt uns Einblicke in Lebensbereiche, in die Frühzeit des Steinzeugs, die uns ansonsten weitgehend verschlossen bleiben. Es ist ein Fenster in die Welt ausschweifender Feste und Tänze der Renaissance. Das vollständig erhaltene Gefäß wurde im Westerwald nach einer Vorlage aus Raeren bei Aachen gefertigt. Es trägt auf dem Bauch eine Motivfolge unter Arkaden tanzender Paare.

Marz

Eine ketzerisch-soziale Gesinnung

Die graphischen Vorlagen sind in den 1537 entstandenen Kupferstichen des Dürerschülers Hans Sebald Beham zu suchen. Der Maler, Holz- und Kupferstecher Hans Sebald Beham wurde 1500 in Nürnberg geboren. Im Jahre 1525 verwies man ihn zusammen mit seinem Bruder "wegen ihrer ketzerisch-sozialen Gesinnung" aus der Heimatstadt. Hans Sebald Beham übersiedelte nach Frankfurt am Main, wo er seine meisten Graphiken fertigte. Bis heute haben sich aus seiner Hand 235 Kupferstiche und 310 Holzschnitte erhalten.

Tanzend durch die Monate

Die Darstellung auf dem Krug aus dem Keramikmuseum Westerwald zeigt ein sinnenfrohes Bauernfest. Es versinnbildlicht auch die zwölf Monate des Jahreslaufes und entspricht damit dem Zeitgeschmack, wie er auch in den Arbeiten von Pieter Breughel d. J. oder David Teniers wiederkehrt.

Auf zum Tanz

Getanzt wird der deutsche Drehtanz, die Allemande, in dessen zweiteiligem Ablauf nach einem ersten ruhigen, geschrittenen Abschnitt ein schneller, gedrehter und gesprungener folgt. Auf dem Westerwälder Krug sind eine Musikanten- und sieben Tanzszenen erhalten, die in der Vorlage Behams den Monaten Februar, März, April, Juni, Juli, September und November entsprechen. Die Tänzerinnen tragen knöchellange Kleider, teils mit Stulpenärmeln, Schösschen oder Hüftband und Gürtel. Neben geflochtenen Haaren sind ein gebundenes Kopftuch und Hauben abgebildet. Dazu treten halbhohe Lederschuhe. Die Kleidung der Tänzer umfasst Mäntel und lange Röcke, einen Anzug mit Puffärmeln, Krempenhüte, Kopftücher, Mützen und ein Barett sowie Halbschuhe und Schaftlederstiefel. Diese Tracht wird durch Beutel, Degen und eine Holzflöte ergänzt.

Ein verpöntes Vergnügen

Über die Tanzweise gibt das "gottselige Traktat vom ungottseligen Tanz" Auskunft, in dem Johann von Münster 1594 die Verwerflichkeit der Allemande darstellt:

"Die deutsche allgemeine Tanzform bestehet hierinnen, dass, nachdem bei den Pfeiffern und Spielleuten der Tanz zuvor bestellet ist, der Tänzer ...aus allen allda gegenwärtigen Jungfrauen und Frauen eine Tänzerin...sich erwähle, dieselbe mit Reverentz als mit Abnehmung des Hutes, Küssen der Hände, Kniebeugen, freundlichen Worten und anderen Ceremonien bittet, dass sie mit ihm einen lustigen, fröhlichen und ehrlichen Tanz halten wolle. Diese hochnöthige Bitte schlägt die begehrte Frauensperson nicht leichtiglich ab, so unangesehen auch der Tänzer, bisweilen ein schlimmer Pflugbengel, oder ein anderer unnütz vollgesoffener Esel...ist. Wenn die Person bewilligt hat...treten sie beide hervor, geben einander die Hände und umfangen und küssen sich, nach Gelegenheit des Landes, auch wohl recht auf den Mund... Darnach...halten sie ernstlich den Vortanz, derselbe gehet mit ziemlicher Gravität ab. ..., in dem Nachtanz gehet es was unordentlicher zu, als in dem vorigen. Denn allhier des Lauffens, Tummelns, Handdrückens, heimlichen Anstoßens, Springens und bäurischen Rufens und anderer ungebührlicher Dinge, die ich der Ehren halber verschweige, bis dass der Pfeiffer die Leute ... durch sein Stillschweigen geschieden hat..."

In Anbetracht dieser Unsitten wurde mit einer ganzen Reihe von Kirchenpredigten, Ratsedikten oder gar Verboten versucht, die verbreiteten aber unschicklichen Tänze zu unterbinden. Trotzdem erfreute sich die Allemande auch beim Adel großer Beliebtheit. So tanzte Casanova noch im Jahre 1759 am Hofe des Kurfürsten von Köln eine gedrehte Allemande, bei der die Tänzerin zu küssen war. Auch die Bezeichnung "Wüster Weller" für den aus den Drehtänzen hervorgegangenen Walzer belegt, dass sich der deutsche Drehtanz weiterhin der Wohlanständigkeit entzog.

Das Gefäß zeigt nicht nur die Beliebtheit derber Tänze auch in den Städten, für die die Westerwälder Kannenbäcker die Keramik zu Tausenden fertigten. Auf der Kanne fehlt leider der für ältere Stücke aus Raeren typische Spruch. Er zeugt von einem gewissen Spott über die Landbevölkerung. Seine vollständige Übertragung aus dem Raerener Dialekt in das Hochdeutsche kann wie folgt gelesen werden: Gerhard, du musst tapfer blasen, so tanzen die Bauern als wären sie rasend; "los, auf!" spricht Pastor, "ich vertanze die Kappe, den Amikt [Schultertuch] und den Chomzantel". Dieser Spott trifft auch den Pastor in seiner engen Verflechtung mit dem weltlichen Brauchtum der Bauern, vertanzt dieser doch seine gesamte Amtstracht.

Bauerntänze waren ein beliebtes Motiv auf Krügen aus dem Kannenbäckerland. Sie finden sich auch auf Steinzeug aus Raeren und Siegburg. Eine Reihe dieser Gefäße trägt Jahreszahlen, die eine Produktion in Raeren zwischen 1576 und 1598 belegen. In diesem Zeitraum fand auch eine stilistische Entwicklung der Bildersprache statt, die sich in der Ausformung der Arkadenbögen manifestiert.

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